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Bis in den Kern des Geschäfts wirkt sich die Digitalisierung bei den Versicherern aus. Das wurde bei der Diskussionsrunde mit deutschen und österreichischen Versicherern bei der VHV in Hannover deutlich. Nur ein Aspekt: Wenn man über  die Analyse großer Datenmengen immer individuellere Risiken berechnen kann – wo bleibt dann der Solidarausgleich?

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Diesen Beitrag lesen Sie exklusiv im NW-Webmagazin.

Künstliche Intelligenz und Big Data werden die Versicherungsbranche ändern. Darüber diskutierte eine Expertenrunde in der VHV-Zentrale in Hannover Ende November, gewissermaßen als nachträgliche Veranstaltung zum österreichischen Nationalfeiertag. Das geht deshalb zusammen, weil VHV-Vorstandschef Uwe H. Reuter Honorarkonsul Österreichs ist.

Feierlicher Anlass hin oder her: Die Diskussionsrunde (Panelisten, das konnte man der Einführung durch Finanzattaché Ingo Waltenberger entnehmen, heißen in Österreich die Teilnehmer einer solchen Runde) blieb weder an der Oberfläche noch verlor sie sich in technischen Frage. Die vier Versicherungsfachleute – zwei Österreicher, zwei Deutsche – und als Moderator der hannoversche Versicherungswissenschaftler Dr. Matthias Graf von der Schulenburg skizzierten vielmehr, in welche Richtung sich das Geschäftsmodell der Assekuranz in der digitalen Ära bewegt. Und wo die Branche in etwa steht.

Eines wurde dabei mehr als deutlich: Es geht bei die Veränderungen keineswegs lediglich um schlankere Prozesse durch mehr Daten und mehr Computer. Dunkelverarbeitung, also die rein maschinelle Abwicklung von Versicherungsvorgängen, tauchte nur am Rande der Diskussion auf. Die Branchenexperten sehen vielmehr grundsätzliche Veränderungen auf die Versicherungen zukommen: Die Digitalisierung wird sich auf das Geschäftsmodell der Versicherer auswirken, und zwar über die reine Computerisierung (diesen Begriff verwendet das Institut der Deutschen Wirtschaft in einer aktuellen Studie) hinaus, bei der lediglich Abläufe mittels digitaler Technik in Richtung Effizienz getrimmt werden.

Klar, dass bei einem Thema wie diesem auch ein FinTech vertreten war. Gemeint sind damit junge Digitalunternehmen, die mit ihren Geschäftsideen die Finanzbranche tatsächlich auch verändern können. Der Physiker Marius Blaesing, Mitgründer der GetSafe GmbH, schnappte sich ein Fahrradbeispiel, um eine der Entwicklungen deutlich zu machen: Schadensvermeidung. Vorstellbar, sagte Blaesing, sei ein App, die davor warnt, sein Fahrrad an einem Diebstahl-Hotspot abzustellen.

Der Übergang zwischen Angeboten zur Schadensvermeidung und Serviceangeboten ist fließend: Besonders Dr. Andreas Brandstetter, Vorstandschef der Uniqa Insurance Group aus Wien, betonte deren Bedeutung – etwa individuell zugeschnittene Hilfe vom Krankenversicherer, um gesund zu bleiben. Auch mit solchen Angeboten werden die Versicherer sich in den nächsten zehn Jahren vom Anbieter eines Produkts, das einfach nicht sexy ist – man steht nicht morgens auf mit der Vorfreude, tagsüber eine Versicherung abzuschließen, so formulierte es VHV-Vorstandsmitglied Dr. Christian Bielefeld – zu einem Begleiter durch das tägliche Leben. Das jedenfalls erwartete die Diskussionsrunde fast übereinstimmend.

Die Auswertung großer Datenmengen bietet die Grundlage für eine weitere Entwicklungsrichtung: Versicherungsbetrug erkennen. Hier gibt es bereits eine Reihe von Ansätzen. Möglich scheint dort, wo es rechtlich zulässig ist, die Auswertung von Medienberichten, um die Hintergründe von Verkehrsunfällen aufzudecken. Darüber wurde schon im vergangenen Sommer bei einer Veranstaltung der hannoverschen Talanx AG zum Stand der Digitalisierung berichtet. Für die VHV wies Christian Bielefeld auf die Möglichkeiten digitaler Bildanalyse hin. Seine Vorstellung reicht ebenfalls bis zur Betrugsaufklärung, wenn etwa Programme in der Lage sind, zu erkennen, ob das Foto eines Schadens zum gemeldeten Unfallverlauf passt. Digitale Bildanalyse kann aber laut Bielefeld auch Prozesse beschleunigen: Wenn dadurch automatisch Schadenssummen ermittelt und danach entschieden wird, ob der Fall automatisch, also ohne menschliches Zutun, in Dunkelverarbeitung abgewickelt wird. Oder ob ein Versicherungsmitarbeiter sich der Sache noch einmal annehmen muss, weil das Know-how der Maschine nicht ausreicht, um von Künstlicher Intelligenz gar nicht zu sprechen. Denn die, auch das wurde in Hannover deutlich, ist noch nicht so weit, noch lange nicht. Marius Blaesing, der Physiker, brachte es auf den Punkt: Was heute nach Intelligenz aussehe, sei doch im Wesentlichen lediglich lineare Regression auf Basis großer Datenmengen.

Schadenvermeidung, Service, Schadenabwicklung – das alles wird mit zunehmender Digitalisierung zunehmend die Arbeit der Versicherer verändert. Aber die Runde drang schließlich auch bis zu den Kernbereichen vor. Werden immer mehr Daten produziert – Stichwort: Erfassung von Gesundheitsdaten durch tragbare Geräte oder, vielleicht bald, durch implantierte Chips – und immer besser ausgewertet, können individuelle Risiken immer besser erfasst, Tarife immer genauer berechnet werden. Und das für immer enger gefasste, kleinteiligere Risiken. Damit steht die Frage im Raum: Wo bleibt der Risikoausgleich, die Abfederung des individuellen Risikos über die große Zahl der Versicherten? Oder anders gefragt: Wann wird der Solidarausgleich geknackt? Hier fordert Dr. Peter Braumüller von der österreichischen Finanzaufsicht und stellvertretender Vorsitzender der europäischen Versicherungsaufsicht Eiopa, ein gesellschaftliche Antwort. Und die ist ebenso gefordert, wenn festgelegt werden muss, wem eigentlich die Daten gehören, die überall entstehen. Und wer die Grenze zieht bei den Möglichkeiten, diese Daten zu nutzen, um zum Beispiel die gesellschaftlich gewünschte Funktion der Versicherung zu erhalten. Die Experten boten verschiedene Antworten an: Ethik. Regulierungsbehörden. Datenschutz. Aber noch scheint selbst die Frage noch nicht so präzise formuliert, als dass sich eine Antwort heute schon finden ließe.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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