Welche Chancen und welche Problematiken haben familiengeführte Unternehmen? Der Kasseler Coach Dr. Andreas Knierim berichtet aus seiner Praxis, welche Fragen sich in diesem Zusammenhang immer wieder ergeben.

Foto: RedaktionWelche Fragestellungen sind aus Ihrer Erfahrung typisch für Unternehmen, in denen Familienmitglieder – seien es Geschwister oder Eltern und Kinder – zusammen arbeiten?
Die typischen Fragen sind immer auf der Personen-Ebene zu finden und weniger auf der Organisations-Ebene. Die Menschen, die aus Familienunternehmen zu mir kommen, sind gut ausgebildet und haben ein Expertentum – in der Führung und auf ihrem Spezialgebiet. Es gibt dann aber Konflikte mit Personen. Sehr oft sind das Rollenkonflikte. Schon der Begriff Familienunternehmen birgt Sprengstoff. Was ist ein Familienunternehmen? Eine Familie oder ein Unternehmen? Eine typische Situation ist, dass sich die Unternehmer- Familie sonntags zum Brunch trifft und über das Unternehmen spricht – mit Ehepartnern und Kindern. Hauptthema in einer solchen Konstellation ist dann der Unternehmensalltag, Rollenklarheit und Abgrenzung findet kaum statt.

Was sind typische Probleme in Familienunternehmen?
In Familien gibt es festgelegte Verhaltensmuster, die man so gelernt hat. Ein Sandwichkind, das ein älteres und ein jüngeres Geschwisterkind hat, wird beispielsweise gern moderieren wollen. Wenn man dann in ein Familienunternehmen einsteigt, muss man sich fragen: Will ich diese Rolle weiterhin? In welchen unbewussten Mustern bin ich verhaftet? Will ich diese im Unternehmenskontext weiterführen? Nur wenn dies reflektiert wird, entstehen neue Räume. Bei Unternehmensübergaben stehen andere Themen im Fokus. Hier kommt es immer wieder zur Frage „Was ist gute Führung?“ Junge führen anders, fördern mehr den Austausch – früher wurde eher patriarchalisch geführt. Und wenn ein 80-Jähriger schließlich sein Unternehmen abgeben möchte, geht das selten ohne Probleme. 20 Jahre vorher wäre weniger Druck gewesen – für alle Beteiligten.

Gibt es auch Vorteile, wenn Unternehmen von Familienmitgliedern zusammen geführt werden?
Es gibt Vorteile – absolut! Das Vertrauen, das ich in der Familie aufgebaut habe, ist ein sehr starker Zusammenhalt. Es gibt in Familienunternehmen viele Interessen, die nicht gewinnmaximierend sind, sondern erhaltend. Und dass man etwas schaffen, etwas erhalten will. Als Geschwister hat man häufig ein hohes Vertrauen. Das „gemeinsame Kinderzimmer“ – so hat es ein Klient neulich ausgedrückt – ist etwas, das sehr prägt. Das ist ein vertrauensvoller Rahmen, der immer da ist. Besonders schwierig sind Mischformen zwischen Familien-Geschäftsführung und externer Geschäftsführung: Die Familie setzt sich meistens durch. Wenn es hart auf hart kommt, wird man einen Externen schneller entlassen als den eigenen Sohn.

Die meisten Unternehmensspitzen haben keinen gemeinsamen  FamilienBackground. Wie lässt sich unter den Führungskräften eine Verbundenheit schaffen?
In vielen Unternehmen gibt es Doppelspitzen – besonders etwa bei Rechtsanwaltskanzleien, Arztpraxen oder Steuerberatern. Steuerberater, die fachlich nicht miteinander können, trennen sich schnell. Anders ist es, wenn – im Laufe der Zeit – zwischenmenschliche Probleme aufkommen. Bei persönlichen Schwierigkeiten erarbeiten wir Deutungen und Arbeitshypothesen zum Gegenüber, so dass das eigene Verhalten geändert werden kann. Wenn ein Geschäftspartner etwa häufig unpünktlich ist, hinterfragen wir, warum das so ist und überlegen, wie kann ich mein Verhalten ändern, dass es besser passt? Ist beispielsweise ein Treffen an einem anderen Ort sinnvoll, weil in den eigenen Räumen zuviel Druck entsteht? Wobei Coaching nicht nur bedeutet, dass man Konflikte löst. Eine Verhaltensänderung kann auch bedeuten, dass man sich trennt.

Sie haben sich nach Ihrem Studium gegen eine Nachfolge im Unternehmen Ihres Vaters entschieden. Wie wurde das aufgenommen und was denken Sie heute darüber?
Wenn es damals gute Coaching-Möglichkeiten gegeben hätte, hätte ich meine Situation anders refl ektiert. So war es eine emotionale Entscheidung. Ich wollte die Welt sehen. Ein mittelständisches Unternehmen in Nordhessen kam damals nicht in Frage für mich. Ich bereue die Entscheidung nicht, aber heute würde ich mir mehr Zeit nehmen. Mein Vater hat mir zehn Jahre später die „Absolution“ erteilt, dass ich mich richtig entschieden habe. Ich habe meinen Vater später beraten, und mein Vater hat meine Selbstständigkeit beobachtet und dann mich gut beraten. Ich bin nun mal in einem Familienunternehmen großgeworden; daher verstehe ich vieles von dem, was meine Klienten bewegt und habe so häufig ein besonderes Vertrauensverhältnis.

Was würden Sie Familienunternehmen raten, damit zwischen den Beteiligten langfristig alles gut läuft?
Die regelmäßige Familienkonferenz face-to-face auf „neutralem Boden“ ist immer hilfreich. Hier können Informationen ausgetauscht und Missverständnisse geklärt, Rollen und Aufgaben verteilt und Pläne geschmiedet werden. Einzel-Coaching für persönlichen Beziehungs- und Rollenklärung unterstützt in der Selbstreflexion und Selbstführung. Für die Gruppe habe ich das Format „Live-Coaching“ entwickelt – da erleben alle Familienmitglieder das einzelne Coaching, schildern anschließend ihre Eindrücke und geben eigene Erfahrungen weiter. Aus diesen Zusammenkünften entstehen oft „Familienverfassungen“, in denen schriftlich – neben einem Gesellschaftervertrag – alle Vereinbarungen getroffen werden. Hier fi nden sich gemeinsame Werte und ein Leitbild sowie Rechte und Pflichten, Absichten und Maßnahmen jedes einzelnen Familienmitglieds.

Die Fragen stellte Barbara Dörmer.

Dr. Andreas Knierim hat sich vor 22 Jahren auf EinzelCoaching von Unternehmern und Führungskräften spezialisiert. Der 57-jährige studierte Wirtschaftswissenschaftler, selbst Sohn eines Familienunternehmers, begleitet in seiner Kasseler Praxis Inhaber, Geschäftsführer, Doppelspitzen und Nachfolger in Familienunternehmen im beruflichen und persönlichen Bereich. Die Universität Kassel forscht mit ihm über das Thema „WirkFaktoren im Coaching“.

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