Zwei Unternehmen verbindet, dass sie händeringend nach Fachkräften suchen – auch aus dem EU-Ausland. Der Haken: überlastete Botschaften, bürokratische Hürden oder die bestehenden Regeln gehen einfach nicht weit genug. Ein Blick in die Praxis.

Almir Camdžic hat es geschafft. Seit September vergangenen Jahres arbeitet der ausgebildete Elektroniker bei der Keydel Bock Ingenieure GmbH (kbi) in Göttingen, einem überregional tätigen Ingenieurbüro für die Planung und Bauüberwachung für Sanierungen und Neubauten elektrotechnischer Anlagen. Bereits ein gutes Jahr zuvor hatte der 22-jährige aus Modrica in Bosnien und Herzegowina Geschäftsführer Jan Keydel in einem persönlichen Gespräch von seiner Person überzeugt. Angesichts der Tatsache, dass kbi in verschiedenen Tätigkeitsbereichen ständig nach Fachkräften sucht, ist Keydel sehr froh, eine der Stellen mit Camdžic besetzt zu haben. Dass von dem Entschluss, Camdžic einzustellen, bis zu seinem ersten Arbeitstag mehr als ein Jahr verging, hätte Keydel nicht gedacht. „Damals hatte sich kein Mensch vorgestellt, dass mit der Anstellung eines Mitarbeiters aus dem EU-Ausland solche Mühen verbunden und solche Hürden zu überwinden sind“, sagt Andrea Rastan, bei kbi Leiterin Rechnungswesen und verantwortlich für Personalfragen. Dabei hatte das Unternehmen noch Glück: Camdžic brachte aus seinem Heimatland einen von der deutschen Arbeitsverwaltung bestätigten Mangelberuf mit. Sonst wäre eine Beschäftigung des Bosniers gar nicht möglich gewesen – die Erleichterungen des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes galten schließlich noch nicht. Vor der Einreise musste der junge Bosnier seinen Abschluss als Elektroniker für Betriebstechnik von der IHK Hannover anerkennen lassen. Die Zusammenarbeit mit der IHK war „sehr hilfreich, kompetent und vor allem zügig“, sagt Rastan. Leider hat das Ingenieurbüro mit der am Verfahren beteiligten Botschaft und Ausländerbehörde „mehr als durchwachsene Erfahrungen gemacht“. Denn schnell stellte sich heraus, dass Camdžic die nun erforderlichen Schritte allein nicht gehen konnte. Trotz guter Deutschkenntnisse war es für ihn schwierig, die Abläufe und Bedingungen für die Erteilung von Visums- und Aufenthaltsgenehmigung zu verstehen. Hinzu kamen zermürbend lange Wartezeiten auf Termine bei der Botschaft in Sarajevo. „Irgendwann habe ich mich eingeschaltet“, sagt Rastan und fügt hinzu, wieviel Zeit und Geduld Schriftverkehr und Telefonate gekostet haben. Was sie besonders ärgert: „Zwischenzeitlich waren wir gezwungen, Herrn Camdžic nach Hause zu schicken“. Denn der IHK-Anerkennungsbescheid erforderte im ersten Schritt noch eine Anpassungsqualifizierung von drei Monaten. Nur für diese Zeit galten auch zunächst die Aufenthaltsgenehmigung und die Arbeitserlaubnis. Nachdem kbi den jungen Bosnier die drei Monate bei sich qualifiziert hatte, verlängerte sich zwar die Aufenthaltsgenehmigung, aber ohne Arbeitserlaubnis. Grund: Es lag kein Bescheid über die volle Gleichwertigkeit vor. „Wir waren froh, dass die IHK den Folgebescheid nach der Anpassungsqualifizierung sehr schnell ausgestellt hat“, sagt Rastan. Bei der Frage, was bei Ausländerbehörde und Botschaft hätte besser laufen können, kommt Rastans Antwort prompt: „Kommunikation, Aufklärung und Beratung abseits von Vordrucken und Formularen“.
Trotz dieser Erfahrungen zieht kbi ein positives Fazit: „Für uns hat sich der Aufwand gelohnt, denn wir haben mit Herrn Camdžic einen freundlichen und engagierten Mitarbeiter gewonnen, dessen Entwicklung sehr vielversprechend ist“.
Ortswechsel: Auch die Ronge GmbH aus Alfeld, Spezialistin für komplette Gebäudehüllen aus Metall, sucht für ihre Bauvorhaben dringend Mitarbeiter in der Montage und wird in Deutschland immer seltener fündig. Deswegen hatte sich das inhabergeführte Familienunternehmen selbst auf den Weg gemacht und im Kosovo und in Albanien Mitarbeiter gefunden, die es einstellen wollte. Der Plan: Die Mitarbeiter sollten mit der sogenannten „Westbalkanregelung“ nach Deutschland kommen. Diese gilt für Staatsangehörige aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien. Voraussetzung ist ein Arbeitsvertrag oder ein verbindliches Arbeitsplatzangebot. Die Anerkennung der Qualifikation ist nicht erforderlich. Die Regelung ist bis Ende 2020 befristet. Die zwei potenziellen neuen Mitarbeiter wurden von Ronge mit einem Arbeitsvertrag ausgestattet und haben ein Visum bei den deutschen Botschaften in Tirana und Priština beantragt. „Leider erhalten sie nicht einmal einen Terminvorschlag von der Botschaft“, so Rebekka Schultz, Personalreferentin bei Ronge. Auf ihrer Internetseite teilt die Botschaft in Priština sogar mit: „Die Wartezeiten auf einen Termin betragen derzeit deutlich länger als ein Jahr.“ Wer heute also ein Visum beantragen will, bekommt wahrscheinlich erst einen Termin im nächsten Jahr. Sofern es keine Verlängerung gibt, könnte die Regelung dann also längst ausgelaufen sein. Das macht für Schultz „keinen Sinn“.
Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz erhoffte sich die Personalverantwortliche „schneller, einfacher und sicherer“ an ein Visum für die beiden Bewerber zu gelangen. Dafür benötigen sie neben dem konkreten Arbeitsplatzangebot auch die Anerkennung ihrer Qualifikationen. Nach Prüfung der Unterlagen durch die IHK stellte sich allerdings heraus, dass bei beiden kein Anerkennungsverfahren möglich ist, da sie über keinen entsprechenden Abschluss aus ihrem Heimatland verfügen. Für Schultz ist das bitter: „Wir waren überzeugt von den Bewerbern, da sie viele praktische Erfahrungen nachweisen konnten, die wir dringend benötigen.“ Sie hofft, dass die Vorgaben zur Zuwanderung „irgendwann noch ein wenig flexibler werden.“

 

3 Fragen an: Guido Klemm

Internationaler Personalservice Niedersachsen-Bremen, Bundesagentur für Arbeit, Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV)

Foto: Guido Klemm

1. Welchen Stellenwert hat das neue Gesetz für die Fachkräftesicherung?
Die neuen Regelungen sind absolut zu begrüßen. Das Gesetz enthält viele Neuregelungen, die auch helfen werden. Aber der gesetzliche Rahmen ist nur ein Baustein. Es kommt jetzt darauf an, wie die beteiligten Stellen die Regelungen umsetzen. Hier ist aber viel in Bewegung. Beispielsweise eröffnet das beschleunigte Fachkräfteverfahren Unternehmen ganz neue Möglichkeiten.

2. Wie können Unternehmen und ausländische Bewerber mit Hilfe der ZAV zusammenfinden?
Wir sprechen interessierte ausländische Fachkräfte insbesondere in Schlüsselbranchen wie Gesundheit, IT oder Logistik fast weltweit an und bringen sie mit suchenden Unternehmen in Deutschland zusammen. Dabei sind die lokalen Arbeitsverwaltungen in den Zielländern wichtige Partner. Unternehmen können so beispielsweise Fachkräfte aus Drittstaaten über Skype-Interviews kennenlernen. Die Bereitschaft der Unternehmen solche Wege zu gehen, hängt durchaus auch vom Handlungsdruck in der jeweiligen Branche ab. Gerade kleinere Unternehmen verfügen nicht immer über die Kapazitäten und Netzwerke, die Personalgewinnung im Ausland selbst zu stemmen. Da kommen wir ins Spiel.

3. Wie erfahren Menschen im Ausland von den Möglichkeiten in Deutschland?
Das Interesse im Ausland ist bereits gestiegen. Insbesondere über soziale Netzwerke sprechen sich viele Möglichkeiten schnell herum. Auch sind ja bereits gezielte Werbemaßnahmen in bestimmten Zielländern angelaufen. Eine vernünftige Informationspolitik ist hier entscheidend. Wichtig ist uns, nicht in Ländern zu rekrutieren, in denen selbst ein Mangel herrscht.

 

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Arne Hirschner

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