Den kompletten Stillstand hat die Tourismusbranche inzwischen hinter sich gelassen. Reisen in Deutschland und ins europäische Ausland sind wieder möglich. Aber trotz der Lockerungen müssen Reiseveranstalter, Busunternehmen und Destinationen weiter mit Einschränkungen und der Unsicherheit, wie es weitergeht, leben.

 

Die Hälfte der Saison ist um. Trotz der leichten Entspannung in manchen Bereichen infolge der seit Mitte Mai eingeleiteten Lockerungen steht die Tourismusbranche weiter unter enormem Druck. Der komplette Stillstand durch  die Corona-Krise hat die Unternehmen aus der Reisebranche schwer getroffen. Das verdeutlichen nicht zuletzt die Ergebnisse des Sparkassen-Tourismusbarometers Niedersachen. Die niedersächsischen Tourismusregionen, die sogenannten Destinationen, mussten im März und April dieses Jahres nach einer Hochrechnung der dwif-Tourismusberatung  Umsatzeinbußen von rund 1,95 Mrd. Euro verkraften.

Übernachtungen minus 89 Prozent
Sowohl der Übernachtungs- als auch der Tagestourismus fanden von Mitte März bis in den Mai hinein praktisch nicht statt. Seit Mitte März galt in Deutschland ein Verbot der Beherbergung privat reisender Gäste. Und auch geschäftliche  Reisen waren stark eingeschränkt. Angesichts der Maßnahmen verwundert es beinahe, dass in dieser Zeit überhaupt Übernachtungen gezählt wurden. Deutschlandweit sind die Gästeübernachtungen im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um 89,3 Prozent auf 4,3 Millionen eingebrochen, wie vorläufige Ergebnisse des Statistischen Bundesamts zeigen. Es ist der stärkste Rückgang seit Beginn der Zeitreihe 1992. Die Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland gingen gar um 93,1 Prozent auf 0,5 Millionen zurück; die Übernachtungen inländischer Gäste sanken um 88,5 Prozent auf 3,8 Millionen.

Dabei hatte das Jahr 2020 gut begonnen: Im Januar und Februar lagen die Zahlen deutschlandweit noch deutlich über dem Vorjahr. Insgesamt verzeichnete das Statistische Bundesamt für die ersten vier Monate des Jahres 2020 dann aber lediglich 76,9 Millionen Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben – ein Minus von 39,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das Statistische Bundesamt weist zudem darauf hin, dass im
April 2020 nur etwa knapp 28 000 der etwa 52 000 statistisch erfassten  Beherbergungsbetriebe geschäftlich reisenden Übernachtungsgästen zur Verfügung gestanden hätten.

Wenig Hoffnung in Hannover

Hans Christian Nolte, Geschäftsführer Hannover Marketing und Tourismus (HMTG) Foto: HMTG

In Hannover war der Rückgang der Übernachtungszahlen in der Corona-Krise sogar noch stärker. Laut Statistikstelle der Landeshauptstadt gab es im April 12379 Übernachtungen von 6788 Gästen. Die Bettenauslastung betrug gerade einmal 6,4 Prozent, gegenüber 40,5 Prozent im Vorjahresmonat. „Als internationale Messestadt haben uns die  Auswirkungen dieser weltweiten Pandemie sofort und unmittelbar schwer getroffen. Neben den großen Leitmessen wurden zusätzlich alle Kongresse, Tagungen, Fortbildungen
und Großveranstaltungen abgesagt – die Geschäftsreisetätigkeit wurde ab März gänzlich eingestellt. In der Region Hannover gehen wir davon aus, dass dieser  Geschäftsreisetourismus etwa 75 Prozent der Übernachtungen in den Hotels ausmacht.
Und nicht nur Hotels litten, auch alle Dienstleister, Messebauer, Caterer und Veranstaltungstechniker bekamen Probleme“, erklärt Hans Christian Nolte, Geschäftsführer der Hannover Marketing und Tourismus GmbH. „Und das Viertel an privaten Touristen ist auch zu Hause geblieben und hat die Lust auf eine Städtereise bislang noch nicht wieder gewonnen. Viele sind noch sehr zurückhaltend und abwartend“, sagt er im Juni. Hoffnung auf eine schnelle Belebung Belebung macht sich Nolte nicht: Für den Geschäftsreisetourismus fehlen die Messen, Kongresse und Tagungen, und für den privaten Tourismus fehlen unter anderem die ‚großen‘ Reiseanlässe wie Konzerte, Kulturveranstaltungen oder Volksfeste.“

Am 11. Mai begannen Lockerungen
Mit der Öffnung von Campingplätzen und der Erlaubnis, wieder in Ferienwohnungen übernachten zu können, begann in Niedersachsen am 11. Mai die Phase der touristischen Lockerungen. Die Landesregierung hatte kurz zuvor einen Stufenplan vorgelegt, mit festen Zeitpunkten, zu denen, bei weiterhin sinkenden Infektionszahlen, die nächsten Schritte erfolgen sollten. Die niedersächsischen Industrie- und Handelskammern hatten bereits Ende April in einem Impulspapier ein solches Vorgehen eingefordert, damit die Tourismuswirtschaft in den wichtigen üblicherweise geschäftsstarken Frühlings- und
Sommermonaten noch Umsätze erzielen konnte und für die Betriebe nach der langen Phase der Schließung eine gewisse Perspektive und Planbarkeit erreicht wird. Denn die Tourismusbranche in Niedersachsen übertrifft, gemessen an der Zahl der Beschäftigten – rund 300 000 Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt in oder durch den Tourismus – sogar die wichtige und derzeit ebenso stark gebeutelte Automobilindustrie.

In dem Impulspapier sprachen sich die Kammern auch bereits dafür aus, für die Unternehmen aus dem Tourismussektor eine zweite, mittel- und langfristig angelegte Förderrunde aufzulegen oder einen separaten Rettungs- und Entschädigungsfonds zu schaffen. Im Juni hat die Bundesregierung tatsächlich nachgelegt, und eine Überbrückungshilfe für kleine und mittlere Unternehmen aufgelegt, die auch im Juli und August noch deutliche Umsatzeinbußen haben, weil sie beispielsweise ihr Geschäft gar nicht oder nur zu einem geringen Teil aufnehmen können. In diesem Zusammenhang wurde auch ein 170 Mio. Euro schweres Förderpaket für Busunternehmen angekündigt,
für das die arg gebeutelte Branche in den letzten Monaten gekämpft hat. Diese  Unterstützung ist vielfach auch nötig. Denn anders als viele gehofft haben, bestehen nach wie vor Hemmnisse und Beschränkungen, die das Geschäft der Unternehmen beeinträchtigen. Der Umgang mit dem Corona-Virus wird voraussichtlich
noch über Monate, hoffentlich nicht Jahre, in einigen Bereichen das Tragen von Masken erfordern, es gibt hohe Ansprüche an die Hygiene und Abstände müssen eingehalten werden – nicht zuletzt bleibt die Frage, inwieweit die Menschen unter diesen Bedingungen reisen wollen.

Aus für Klassenfahrten trifft Busunternehmen
Insbesondere die Busreiseveranstalter in Niedersachsen, die vornehmlich ältere Menschen zu ihren Kunden zählen, trieb diese Frage im Juni um. Können die Anbieter mit eigenem Reiseprogramm noch auf wachsende Reiselust ihrer Stammkunden hoffen, so sieht die
Lage bei Busunternehmen, die mit Klassenfahrten von Kindern und Jugendlichen oder individuellen Gruppenfahrten ihr Geld verdienen, weiter düster aus. Die Lockerungen sorgen längst nicht überall dafür, dass Unternehmen wieder eine Perspektive haben.
Sah es lange Zeit so aus, als wollten die Deutschen in diesem Jahr überhaupt keinen Urlaub machen, so zeichneten die Meldungen von überfüllten Stränden an der Nordsee zu Pfingsten ein anderes Bild. Unter diesem Eindruck suchten viele Urlaubshungrige ein Quartier für den Sommerurlaub in Deutschland, auch weil bis Mitte Juni eine weltweite Reisewarnung Auslandsurlaube unmöglich machte. In den Sommerferien dürfte zumindest in den beliebten Ferienregionen in Deutschland wohl kein Bett mehr frei bleiben.

Es war allen Beteiligten klar, dass der Sommerurlaub im Jahr 2020 anders wird als in den Vorjahren. Bundesaußenminister Heiko Maas hatte noch im März und April eher nicht damit gerechnet, dass ein Sommerurlaub auf Mallorca möglich sein wird – angesichts der hohen Infektionszahlen in Spanien. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sprach damals zumindest die Empfehlung aus, mit dem Buchen  eines Sommerurlaubs noch zu warten. Je näher der Sommer rückte, desto wahrscheinlicher aber wurden Auslandsreisen,
zumindest in Länder der EU. An der internationalen Reisewarnung für alle anderen Länder bis zum 31. August hat die Bundesregierung zunächst festgehalten. Aber zuletzt wuchs der Druck, auch hier zu lockern, sodass zumindest in einige Länder gereist werden
könnte, in denen ein vergleichsweise niedriges Infektionsgeschehen herrscht. Die
Ausbreitung des Coronavirus ist weltweit sehr unterschiedlich. Zuletzt stiegen die
Fallzahlen insbesondere in Nord- und Südamerika sowie Afrika, während die Lage in
den meisten Ländern des östlichen Asiens im Juni recht gut unter Kontrolle zu sein
schien. Nicht nur für Geschäftsreisende dürfte es allerdings eine interessante Frage
sein, wie sich die Zahl der Infektionen in den USA weiter entwickeln wird.

Auch Auslandsurlaub möglich
In Europa war die touristische Öffnung früher absehbar: Deswegen war die TUI
auch Anfang Juni bereits in Gesprächen mit der Regionalregierung der Balearen, um ein Pilotprojekt für die Wiederaufnahme des Urlaubs auf der beliebten Ferieninsel zu starten. Eine Woche bevor sich die Insel wieder für Urlauber öffnete, durften so rund 10 000 Reisende unter anderem mit Fliegern von TUIfly vier ausgewählte Hotels auf der Insel ansteuern. Die ersten Flüge seien ausgebucht gewesen, teilte
der Reisekonzern aus  Hannover mit, der in der Corona-Krise Ende März von der
KfW einen Kredit über 1,8 Mrd. Euro in Anspruch nahm und wenige Wochen später
Einsparungen beim Personal ankündigte. Mitte Juni, als unter großem Medieninteresse
die ersten deutschen Urlauber auf Mallorca landeten, kehrte in einigen Reisebüros
hierzulande die Hoffnung zurück, die Krise zu überstehen. Nachdem die Beschäftigten
monatelang nur Stornierungen für die Reiseveranstalter bearbeitet
hatten und niemand Interesse an einer Reise zeigte, wurden nun wieder einige
Reisen verkauft. Die Reisebüros hoffen, wie die Reiseveranstalter, auf das Jahr 2021.

Welche Corona-Regeln gelten in der EU?
In den meisten EU-Mitgliedstaaten ist seit Mitte Juni freies Reisen ohne Grenzkontrollen und Beschränkungen der Freizügigkeit wieder möglich. Allerdings gibt es für die Reisenden in manchen Ländern spezielle coronabedingte Vorgaben, Einschränkungen oder konkrete Verhaltensregeln zu beachten. Die neue Website „Re-open EU“ der  EU-Kommission, die laufend aktualisiert wird, informiert, was beim Reisen und beim Urlaub in der EU zu beachten ist:
Website „Re-open EU“

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