Die IHK Hannover hat ausführlich ein Verkehrskonzept analysiert, das jetzt für die hannoversche Innenstadt auf dem Tisch liegt. Fazit: Eine Diskussionsgrundlage, auch wenn noch viele Fragen offen sind.

Kaum eine Woche verging in den letzten Monaten, ohne dass immer neue Einzelmaßnahmen für eine Verkehrswende vorgeschlagen wurden. Geschwindigkeit begrenzen, Fahrspuren zurückbauen, Fahrbahnen schmaler machen, Parkraum streichen: Die Zielrichtung lag durchgängig darin, den Kraftfahrzeugverkehr zu behindern. Dies war ein Alarmruf für die Wirtschaft der Landeshauptstadt, die sich deshalb im Aktionsbündnis Stadtverkehr Hannover zusammengeschlossen hat: die IHK Hannover, die Handwerkskammer, der Handelsverband, der Dehoga, die City-Gemeinschaft und der Immobilienverband Haus & Grundeigentum. Städtischen Verkehr ökologischer abzuwickeln ist ein Gebot der Stunde, dies darf aber nicht dazu führen, dass die Erreichbarkeit gravierend verschlechtert und damit die Wettbewerbsfähigkeit in Frage gestellt wird. Die aktuelle Situation der Wirtschaft in Folge der Corona-Krise unterstreicht diese Notwendigkeit noch einmal nachhaltig.

Lösung kann hier nur ein abgestimmtes Gesamtkonzept bieten. Diese Forderung der Wirtschaft scheint zumindest in Ansätzen gehört worden zu sein. Ende Mai hat der Stadtverband Bündnis 90 Die Grünen ihr „Verkehrswendekonzept – Smartmobility Hannover 2030“ vorgestellt.

Ziel des Konzeptes ist den Innenstadtbereich von Durchgangs- und Parksuchverkehr weitestgehend zu entlasten, Konflikte zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern zu reduzieren und bisherige Verkehrsfläche andere Nutzungen zuzuführen.

Das Konzept umfasst den gesamten Innenstadtbereich innerhalb des City-Ringes. Dieser soll der zentrale Verteilerring des motorisierten Individualverkehrs sein, von dem über einzelne Äste sämtliche bestehenden Parkhäuser im Zielverkehr erreicht werden können. Zwischen den Ästen sind keine Verbindungen für Durchgangsverkehr vorgesehen. Die übrigen bestehenden Straßen sind aber weiterhin für Anliefer- und Anliegerverkehr nutzbar. Der Parkraum an den Straßen entfällt jedoch mit Ausnahme von Parkplätzen für Menschen mit körperlichen Behinderungen und in Zusammenhang mit Lade und Liefervorgängen. Der Radverkehr soll auf eigene Routen möglichst getrennt vom Kraftfahrzeugverkehr geführt werden.

Dies alles klingt nachvollziehbar, allerdings bleibt bei näherer Betrachtung noch eine Vielzahl an Fragen offen.

Zunächst muss man feststellen, dass das Verkehrskonzept bisher nicht so umfassend ist, wie es zunächst erscheint. Der ÖPNV wird erwähnt, eine konzeptionelle Auseinandersetzung mit dessen zukünftigen Rolle erfolgt noch nicht. Gerade dies ist aber notwendig, wenn das im Konzept definierte Ziel einer Verlagerung des Verkehrs weg vom Pkw erfolgreich sein soll. Detaillierter wird der Radverkehr abgehandelt. Allerdings sind die im Konzept abgebildeten Vorzugsrouten des Radverkehrs teilweise nicht identisch mit dem nur wenige Tage später vorgestellten Veloroutenkonzept. Hier fehlt noch eine Abstimmung.

Zentrale Voraussetzungen für das Funktionieren eines solchen Konzeptes stellt die Leistungsfähigkeit des City-Rings dar. Auch wenn perspektivisch eine sukzessive Verringerung des Pkw-Verkehrs erfolgen sollte, ist die Leistungsfähigkeit des Ring-Äste-Konzeptes am aktuellen Verkehrsträgermix zu messen, wenn nicht die Erreichbarkeit und damit der Wirtschaftsstandort gefährdet werden soll. Insofern ist klar zu begrüßen, dass das Verkehrskonzept der Grünen akzeptiert, dass die Innenstadt von Hannover weiter für Autofahrer erreichbar sein muss und ein Bekenntnis zur Bedeutung des City-Ringes abgibt. Erhebliche Fragen wirf aber auf, dass sowohl wenige Tage vor, wie auch nach Veröffentlichung des Konzeptes genau dies wieder von der Politik in Frage gestellt wurde, indem ein Rückbau des City Ringes avisiert wurde. Auch hier besteht Klärungsbedarf.

Es ist allerdings auch im gegenwärtigen Ausbauzustand fraglich, ob dessen Leistungsfähigkeit für das vorgelegte Verkehrskonzept hinreichend ist:

  • Die Belastung des City-Rings wird deutlich zunehmen, da sich hier mangels Alternativen alle Verkehre konzentriert werden. Besonders dürfte dies in Bereichen in denen bisher parallel Hauptverkehrsstraßen vorhanden waren (zum Beispiel Arndtstraße/Celler Straße) problematisch werden.
  • Die Belastung der Knotenpunkte wird kritisch werden, da alle Verkehrsströme zu den Parkhäusern auf wenige Knotenpunkte konzentriert werden. Insbesondere die Linksabbiegeverkehre können zu Überlastungen führen.
  • Das Konzept macht nur Sinn, wenn vom City-Ring aus beiden Fahrtrichtungen in die Parkhausäste abgebogen werden kann und die Ausfahrt ebenfalls in beide Richtungen möglich ist. Ansonsten sind umfangreiche Umwege notwendig. So ist beispielsweise an der Goethestraße ist ein Linksabbiegen in das Leibnizufer aktuell nicht möglich.
  • Straßen wie die Sophienstraße scheinen kaum geeignet den gesamten Verkehr eines Parkhausastes aufzunehmen.
  • Die ausgewählten Achsen sind zudem teilweise für größere Fahrzeuge des Lieferverkehrs völlig ungeeignet (zum Beispiel Bereich Marstall).

Weiterhin ist sehr widersprüchlich, wie mit den übrigen innerstädtischen Straßen umgegangen werden soll. Einerseits wird erwähnt, dass sie für den Kfz-Zielverkehr für Anwohner, Liefer- Transport- und Anliegerverkehr erhalten bleiben sollen. Andererseits wird die völlige Sperrung zentraler Plätze und die Nutzung der Straßen als öffentlicher Raum unter anderem zum Flanieren ausgeführt.

Hierbei stellt sich auch die Frage nach den Nutzungskonzepten. Anders gesagt: Für die großflächige Ausdehnung eines fußgängerzonenähnlichen Bereiches bedarf es auch Menschen, die diese Bereiche beleben (wollen). Leere tote Innenstadtlagen helfen niemanden.

Für die Wirtschaft ist es von grundlegender Bedeutung, dass die innerstädtischen Straßen zum einen für Anlieger- und Wirtschaftsverkehr zugänglich bleiben und dass zum anderen umfangreiche Haltemöglichkeiten geschaffen werden. Denn Lieferverkehr aber auch Kundenverkehr, zum Abholen oder Bringen von Waren ist unverzichtbar. Hier wird im Konzept auch offensichtlich der Umfang des Wirtschafsverkehrs unterschätzt. Dieser dürfte rund 30 % des Gesamtverkehres ausmachen. Und dieser Verkehrsanteil wird sich nur sehr eingeschränkt auf andere Verkehrsträger verlagern lassen.

Keinerlei Aussagen trifft das Konzept dazu, was der Wegfall der Vielzahl straßenbegleitender Parkplätze bedeutet und wie er kompensiert werden kann. Gerade für die kleineren Betriebe in den Quartieren haben Sie aber eine sehr hohe Bedeutung, da nahe gelegene und für zielgerichtete Besuche bei einzelnen Geschäften oder Dienstleistungseinrichtungen vorhandene Parkplätze wichtig sind.

Hier geht das Konzept auch nicht auf die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse ein, die in einer Innenstadtlage wie am Kröpcke oder in einem Quartier wie der Königstraße bestehen, das weiterhin auf straßenbegleitenden Parkraum für Kunden angewiesen sein wird. Die Sperrung der Bahnbrücke Königsstraße hat sehr deutlich gezeigt, wie schwer solche Standorte durch schlechtere Erreichbarkeit getroffen werden. Nach Wegfall der Laufkundschaft konnten aber gerade Spezialisten von ihrem etablierten Kundestamm profitieren. Dieser kam oft mit dem PKW im direkten Zielverkehr. Die Parkmöglichkeiten vor den Unternehmen waren dabei von grundlegender Bedeutung.

Insgesamt wurde ein durchaus interessanter Ansatz vorgelegt, der allerdings noch viel Diskussionsbedarf liefert. Für die Wirtschaft ist dabei das klare politische Bekenntnis für eine leistungsfähige Erreichbarkeit der Innenstadt auch mit dem Pkw wesentlich. In diesem Zusammenhang ist es dann aber fraglich, ob es hilfreich ist, deutlich zu betonen, dass dieses Konzept nur eine erste Stufe zu einer autoarmen Innenstadt darstellt. Zunächst sollte, die Attraktivitätsverbesserungen und deren Wirkung auf die Verkehrsträgerwahl abgewartet werden. Niemals aber darf der Eindruck erweckt werden, dass Pkw-Kunden in Hannover nicht erwünscht sind.

 

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