Bahnchef Dr. Richard Lutz in Hannover: Beim Industrie-Club nutzte er die Gelegenheit, um für eine „starke Schiene“ zu werben.

Wenn man bei der Bahn heute vom noch Wetter reden würde, dann ließe sich die Lage ganz grundsätzlich mit einem Wort beschreiben: Rückenwind. Dr. Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, ließ vor dem Industrie-Club Hannover keinen Zweifel daran, dass sein Unternehmen von den Zeitläuften getragen wird. Und damit auch er selbst: Ihm gehe es so gut wie seit 25 Jahren nicht, sagte er an einer Stelle bezogen auf seine Arbeit bei der Bahn. Wobei man wissen muss, dass er tatsächlich vor genau 25 Jahren im „Unternehmen Zukunft“ – so ein Bahn-Werbespruch aus den frühen 90ern – begann. Und wenn er über die Zukunftsperspektive einer „starken Schiene“ spricht, strahlt er die Zufriedenheit über die Wiederentdeckung der Bahn geradezu aus.

Die Diskussion um Klimawandel und Nachhaltigkeit ist der Treiber dieser Entwicklung: Die Mobilitätswende geht nicht ohne die Bahn, betont Lutz. Sie sei Teil der Lösung, nicht des Problems: Das lässt den Bund als Eigentümer nun Mittel freisetzen, um, so Lutz, „ganze Berge“ zu bewegen. Er spricht von der Generationenaufgabe, jetzt zu investieren – ins Netz, in Personal, in Fahrzeuge. „Wir müssen das machen“, sagt er gleich mehrmals. Und wird rückblickend deutlich: „Wir haben den Laden ziemlich knapp gefahren.“ Was zum aktuellen Investitionsstau führte.

Jetzt liegt der Fokus auf Ausbau: Lutz will die Passagierzahlen im Fernverkehr verdoppeln. Der Güterverkehr soll um 70 Prozent zulegen, gleichzeitig will die Bahn ihren Marktanteil von knapp 18 auf 25 Prozent erhöhen. Die Erschließung ländlicher Räume steht auf der Agenda. Und der Bahnchef zeigte sich als erklärter Fan des Kombinierten Verkehrs: Vor- und Nachlauf regional mit dem LKW, Hauptlauf über die Schiene. Gleichzeitig will Lutz die Bahn schlanker organisieren machen und über die Digitalisierung Kapazitäten erschließen.

Aber wann wird die Bahn fit für die Zukunft sein, und welche Übergangsschmerzen sind bis dahin auszuhalten? Mit diesen Fragen hatte Dr. Carsten Kuhlgatz, Vorsitzender des Industrie-Clubs, den Vortrag des Bahnchefs eingeleitet. Wobei solcherlei Schmerzen in Hannover künftig noch zunehmen dürften: Der S-Bahn Verkehr in der Region spürt bereits länger, weil Züge umgeleitet werden, die Sanierung der Schnellfahrstrecke südlich von Göttingen. Die Arbeiten an einer Brücke direkt am Hauptbahnhof verzögern sich bis März – die Freigabe der darunter entlang führenden Straße ebenso. Und dann kommt die voraussichtlich ein Jahrzehnt dauernde Sanierung des Hauptbahnhofs selbst, „unterm rollenden Rad“, wie Lutz an anderer Stelle sagte.

Das alles ist aber nicht gemeint, wenn der Bahnchef von Hannover als „neuralgischem Knoten“ spricht. Sondern, natürlich, die Bedeutung der Landeshauptstadt für den Schienenverkehr. Insofern hatte der Industrie-Club den Veranstaltungsort passend gewählt: Die Schlütersche Verlagsgesellschaft hat ihren Sitz an einem ausgedehnten Bahngelände, ziemlich genau dort, wo sich die Trassen in Richtung Süden und Osten treffen. Hannover, sagte Lutz höflich, „sei eine der spannendsten Wirtschaftsregionen“ – aber für die Bahn auch einer der zentralen Bausteine im geplanten Deutschlandtakt, also der Verbindung großer Zentren im Halbstundentakt. Er wies in diesem Zusammenhang auch auf die geplante Schnellfahrstrecke Hannover – Bielefeld – Hamm hin.

Es waren die großen Linien, die Lutz‘ Treffen mit dem hannoverschen Industrie-Club beherrschten. Nicht die individuellen, punktuellen Ärgernisse. Selbst die Frage, wie und wann Hannovers Hauptbahnhof zu einem zusätzlichen Gleis kommt, blieb ausgeklammert. Mehr als das wurde der Aspekt einer gemeinsamen, gesellschaftlichen Anstrengung betont als Voraussetzung, um die Vision einer starken Schiene zu verwirklichen.

 

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