Nach Corona erstmals wieder zu Jahresbeginn: der Auftakt der IHK Hannover. Vor über 800 Teilnehmenden nahm IHK-Präsident Gerhard Oppermann die Krisenfolgen in den Blick, insbesondere die Energiepreise. Weitere Themen: Bürokratie und Fachkräfte. Aber ziehen Wirtschaft und Politik, die Gesellschaft insgesamt, aus den Erkenntnissen der vergangenen Jahre und angesichts eines Krieges in Europa die richtigen Schlüsse? Oppermann fand nachdenkliche Worte, die Ministerpräsident Stephan Weil aufnahm.

Natürlich die Energie: Drastische Preisentwicklung und dramatische Abhängigkeiten fordern Antworten. IHK-Präsident Gerhard Oppermann sprach sich für eine künftig stärker dezentrale Energieproduktion aus. Das sind aber nicht nur die entsprechenden Netze nötig: Es könne nicht sein, dass im Norden die Energiewende forciert wird, dafür dann aber deutlich höhere Netzentgelte als im Süden fällig werden. Das hatte Oppermann bereits im Sommer vergangenen Jahres betont.

Beim Ausbau der Windenergie sieht er die Politik in der Pflicht, wenn es um die Ausweisung der notwendigen Flächen geht. Umwelt- und Klimaschutz stünden sich häufig im Weg, so der IHK-Präsident. Hierauf eine Antwort zu finden, ist eine Kernaufgabe der Politik, sagte Oppermann – was Ministerpräsident Stephan Weil unmittelbar aufnahm. Richtig Druck machen beim Zubau erneuerbarer Energien, das sei das Ziel der Landesregierung. Nicht nur bei der Windkraft, sondern auch beispielsweise bei der Fotovoltaik in der Landwirtschaft. Weil bekräftigte das Vorhaben, Niedersachsen zum Energieland Nummer eins in Deutschland zu machen. Eine historische Chance des Landes, so Weil, aber ebenso eine Notwendigkeit, um die wirtschaftliche Substanz des Landes zu erhalten, und das vor dem Hintergrund des Klimaschutzes als beherrschendem Thema: Industrieland bleiben, aber unter anderen Vorzeichen, so beschrieb Weil die Aufgabe.

Während der Pandemie sei es mit einem Kraftakt und rund 6,5 Mrd. Euro an Fördergeldern gelungen, dramatische Einschnitte in der Wirtschaft zu vermeiden. Aber auch angesichts der Energiekrise werde das Land den Unternehmen helfen: „Deindustrialisierung ist keine Option“, sagte Weil mit Blick auf das Chemiewerk von Oxxynova in Steyerberg. Die Einstellung der Produktion dort hatte bereits Gerhard Oppermann angesprochen. Auch Weil zeigte sich betroffen: Noch vor wenigen Monaten habe man sich eine solche Entwicklung nicht vorstellen können. Anlass genug zu einem engagierten Appell zur Unterstützung der energieintensiven Industriezweige: „Wir müssen zn den Bestand der Grundstoffindustrie kämpfen – und dessen sind wir uns als Landesregierung bewusst“, rief der Ministerpräsident den Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung zu. IHK-Präsident Oppermann lobte die im Februar anlaufende Energiekostenhilfe des Landes für kleine und mittlere Unternehmen mit einem Volumen von zunächst 100 Mio. Euro und zudem weiteren 200 Mio. Euro für die kommenden Monate.

Oppermann sprach auch Themen vor Ort in der Landeshauptstadt an. Er betonte die Bedeutung des Südschnellwegs, dessen Erneuerung nach langjähriger Planungsverfahren jetzt wieder in die Diskussion geraten ist. Oppermann dankte ausdrücklich dem Ministerpräsidenten für dessen Einsatz für den Flughafen Hannover. Schließlich stehe Hannover auch als Region im Wettbewerb mit anderen Städten in Europa: „Ein attraktiver Standort braucht einen attraktiven Flughafen“, so Oppermann. Außerdem kritisierte der IHK-Präsident die von der Stadt Hannover beschlossene Bettensteuer:  Abgesehen vom zusätzlichen bürokratischen Aufwand würden Hannovers Hoteliers damit spürbar gegenüber ihren Mitbewerbern benachteiligt. „Entlasten, nicht belasten“  muss nach Oppermanns Worten nach Corona die Devise sein.

Überhaupt: die Bürokratie. „Wir alle wissen, wie Bürokratie hemmt“, sagte der IHK-Präsident. „Sie verhindert gute Ideen, sie macht uns träge und hemmt unsere Fortschritt'“ Oppermann kritisierte in diesem Zusammenhang auch ständig wachsende Behörden, lobte die Landesregierung aber für die Weiterführung der Clearingstelle: Diese Einrichtung, die von den Industrie- und Handelskammern mitgetragen wird, sollte Bürokratie bereits im Vorfeld der Gesetzgebung möglichst verhindern. Im Grundsatz jedenfalls stimmen IHK und Landesregierung in der Forderung nach nach schnelleren und schlankeren Verwaltungsabläufen überein. Ministerpräsident Weil verwies auf die Geschwindigkeit, mit der das Flüssiggasterminal in Wilhelmshaven in Betrieb genommen wurde: Dieses Tempo müsse das neue Normal werden, sagte der Regierungschef. Er sprach von einem „maximalen Interesse“, schneller zu werden. Der Vergleich mit den europäischen Nachbarn sei „schwer erträglich“, was Verwaltungsabläufe angeht. Weil forderte die Wirtschaft – Unternehmen ebenso wie Industrie- und Handelskammern auf, konkrete Vorschläge zur Entbürokratisierung zu machen.

Nicht weit auseinander sind Wirtschaft und Landesregierung auch beim Fachkräftemangel, der inzwischen – wie Stephan Weil betonte – eher Arbeitskräftemängel heißen muss. „Wir müssen Fachkräftezuwanderung ermöglichen“, so Gerhard Oppermann. Werben um die hellsten Köpfe und fleißigsten Arme – aber unbürokratiswch. Ministerpräsident Weil sprach von einer strukturellen Klemme angesichts der bald in Rente gehenden geburtenstarken Jahrgänge. Neben der Zuwanderung kündigte er Initiativen in der Bildungspolitik an: Mehr Berufsorientierung in den Schulen, insbesondere den Gymnasien, eine Aufwertung des Lehrerberufs und stärkere Betonung des Unterrichts in Grundlagenfächern wie Mathe und Deutsch.

Bei einer Podiumsdiskussion tauschten sich Professor Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, Dr. Ariane Reinhart, Vorständin Personal/Nachhaltigkeit der Continental AG und Angela Papenburg, Vorständin GP Günter Papenburg AG, zum Thema „Wir stehen noch am Anfang – Fachkräfte dringend gesucht“ aus. Professor Esser sprach von einer „herausfordernden demografischen Entwicklung“ – 4,1 Mio. Menschen schieden zwischen 2021 und 2026 aus dem Arbeitsmarkt aus. Über viele Jahrzehnte hat sich die akademische Entwicklung auf Kosten der Berufsausbildung entwickelt und forderte eine Öffnung für Weiterentwicklungsfragen der beruflichen Bildung hierzulande. Länder wie Australien, Neuseeland oder Kanada hätten es geschafft, eine qualifizierte Zuwanderung zu schaffen. In Deutschland habe man mit dem Anerkennungsgesetz eine gute Infrastruktur geschaffen, um Menschen nach Deutschland zu locken und im Ausland erworbene Qualifikationen hier anzuerkennen. Angela Papenburg, Vorständin GP Günter Papenburg AG, berichtete, wie sie seit 2019 erfolgreich junge Menschen aus Usbekistan als Auszubildende gewinnen und integrieren konnte. Dafür sei allerdings auch eine interkulturelle Kompetenz bei den Ausbildern sehr wichtig. Conti-Vorständin Dr. Ariane Reinhart verwies auf ein erfolgreiches Fachkräfteprojekt der Initiative „Allianz der Chancen“ mit Kolumbianern und auf die Ausbildung von Menschen, die „noch niemals ein Zertifikat in der Hand gehabt hätten“. Von der Bundespolitik forderte die Managerin weniger Überregulierung. Ob Lieferkettengesetz, Nachweisgesetz oder das Arbeitszeiterfassungsgesetz: „Wir kriegen immer wieder Gesetze, die wir gar nicht umsetzen können.“ Lob gab es von ihr für die Politik in Niedersachsen. „Die Bundespolitik sollte sich ein Beispiel nehmen an der Landespolitik.“

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