In diesen Tagen liest man Dinge plötzlich anders. „Ich habe großen Respekt vor dem gedruckten Wort“, lässt Literatur-Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer im Roman „Schoscha“ in den 30er Jahren den Warschauer Uhrmacher Reb Leiser sagen. Heute steht dieser Satz vor dem Hintergrund einer Diskussion um künstliche Autoren, ChatGPT und was sonst noch so kommt. Welche Bedeutung hat künftig das geschriebene Wort? Welche Rolle hat der Mensch? Schreibt die Software bald von sich selber ab? Was macht das alles mit der Sprache als Instrument, um Wissen zu erwerben und weiterzugeben?

ChatGPT hat eine Diskussion ausgelöst. Und nur wenig später scheinen die selbst die Entwicklerinnen und Entwickler Angst vor ihrer Schöpfung zu bekommen. Sie fordern nicht nur, KI zu kontrollieren. Sondern ein sechsmonatiges Moratorium für die Entwicklung zumindest der Software, die dem menschlichen Geist am nächsten kommt.

Zurück zur Literatur. Warum? Weil das geschriebene Wort, vor dem Singers Uhrmacher Leiser so viel Respekt hat, Orientierung bietet. Literatur, verdichtet im Film: Wer nicht die beunruhigend-ruhige Stimme von Hal 9000 im Ohr hat, für den ist 2001: Odyssee im Weltraum ein guter Tipp. Autor Arthur C. Clarke und Regisseur Stanley Kubrick spannen den Bogen von den ersten Werkzeugen der Menschheit bis zur Künstlichen Intelligenz, eben dieser Hal, die den Menschen beiseite zu schieben versucht. Eines der Lebensthemen des US-Schriftstellers Philip K. Dick, verdichtet in den beiden Blade-Runner-Filmen: Ab wann ist ein künstlich geschaffenes Wesen sich seiner selbst bewusst? Was bedeutet das dann für den Umgang mit, nun ja – ihm oder ihr? Und: Reicht es nicht schon, wenn ein Mensch für bloße Projektion, ein digitales Geschöpf, das sich menschlich-intelligent erscheint, für ein Wesen mit Bewusstsein hält? Fragen, die das gedruckte (und verfilmte) Wort vor Jahrzehnten gestellt hat. Jetzt, so wird über eine Studie aus renommiertem Haus berichtet, habe man Funkten menschlicher Intelligenz in der künstlichen entdeckt. Und wir stehen erst am Anfang. Ein mögliches Ende liest man bei Frank Herbert, der im Wüstenplanet eine Welt beschreibt, in der nach einer Art Maschinensturm künstliche Intelligenz tabu und nur noch hochgezüchtete menschliche erlaubt ist.

Also wird ein Moratorium gefordert. Aber ist es dafür nicht zu spät, von dem Augenblick an, in dem ChatGPT veröffentlicht wurde? Das legt ein anderer großer Schriftsteller nah: Was einmal in der Welt ist, kann nicht mehr zurückgenommen werden. So in etwa heißt es in Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“. Nicht nur, dass wir die Künstliche Intelligenz brauchen werden: Es ist kaum vorstellbar, dass in dieser heutigen Welt ein Moratorium umfassend eingehalten würde. Wir werden KI brauchen, um im Wettbewerb zu bestehen – in der Wirtschaft, aber nicht nur dort. Es wird, so scheint es, ein Ritt auf dem Drachen. (pm)

Ursprünglich als Wirtschaftspolitisches Streiflicht, später in einer eigenen Rubrik „Streiflichter“: Glossen begleiten die Niedersächsische Wirtschaft von Anfang an und hatten schon in Vorgänger-Publikationen ihren Platz. An dieser Stelle finden Sie jeden Freitag eine Glosse in dieser Tradition.

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