Innovation gehört zum Kerngeschäft der Hannover Messe. Aber wie ist es derzeit um Forschung und Entwicklung in Deutschland bestellt? Es mehren sich Warnsignale.

Innovationen erhöhen nachweislich die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und damit den Wohlstand. Sinken Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) ist es in der Regel ein Warnsignal für die betreffende Region. Die Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW) über die aktuelle Innovationssituation der deutschen Wirtschaft zeigt, dass 2020 erstmals seit zehn Jahren die Innovationsausgaben für Maschinen, Ausrüstungen, Labore und Software um 3,6 Prozent auf 170,5 Mrd. Euro deutlich gesunken sind. Im ersten Jahr der Corona-Pandemie hatte vor allem die Industrie, die hierzulande maßgeblich Innovationen seit jeher vorantreibt, Innovationsbudgets um 4,8 Prozent zurückgefahren. Wenngleich der Dienstleistungssektor seine Ausgaben auf dem Niveau von 2019 halten konnte, trübte dies die gesamtwirtschaftliche Perspektive ein. Damit sank die FuE-Intensität – also der Anteil des Bruttoinlandsprodukts, der auf Forschung und Entwicklung entfällt – von 3,17 auf 3,14 Prozent. Nach Erreichen des Drei-Prozent-Ziels im Jahr 2017 ist Deutschland damit weiterhin in der internationalen Spitzengruppe platziert, hat aber einen Dämpfer erhalten.

Die Autoren der ZEW-Studie konnten bei näherer Betrachtung produzierender Branchengruppen, industrienaher Dienstleistungen und Technologiezweige immerhin feststellen, dass die Zahl innovationsaktiver Unternehmen und Innovatoren im Beobachtungszeitraum zugenommen hat. Deren Zahl stiegt nicht nur im Vergleich zum Vorjahr auf rund 201000 Unternehmen, ebenso wie die Zahl der Unternehmen mit Produkt- oder Prozessneuheiten. Für den Anstieg waren kleine und mittlere Unternehmen sowie große Unternehmen in der Industrie gleichermaßen verantwortlich. Bedingt durch die Coronapandemie und damit verbundene Lockdown-Wellen mussten nicht alle Unternehmen finanzielle Mittel in die Bestandssicherung fließen lassen und Projekte aufgrund der räumlichen Entzerrung von Arbeitsteams oder der Behinderung kreativer Prozesse nur verzögert durchführen oder ganz stoppen. In manchen Wirtschaftszweigen wirkte die Krise als Katalysator und löste Innovationsprozesse aus. In den letzten zwei Jahren wurden insbesondere digitale Produkt- und Dienstleistungsangebote ausgeweitet und mit digitalen Technologien Abläufe optimiert. Auch im FuE-Umfeld führt der Einsatz von Konstruktionssoftware zu schnelleren Ergebnissen und virtuelle projektbesprechungen zu günstigeren Arbeitsprozessen. Die bundesweite Umfrage der IHK-Organisation zur Digitalisierung unter 4300 Unternehmen zeigt zudem, dass sich mit zunehmendem Digitalisierungsgrad weitere neue Technologien etablieren: Augmented and Virtual Reality, 3D-Druck und Additive Fertigung, Cloud-Anwendungen, Edge-Computing, Robotik und KI-Anwendungen sind auf dem Vormarsch. Diese Zukunftstechnologien zielen vor allem auf mehr Effizienz in Prozessen, Kundenbindung und Aspekte der Nachhaltigkeit.

Umweltorientierte Investitionen
Mit Blick auf die globale Erderwärmung und deren negative Folgen rücken auch datenbasierte Services für das CO2-Management und Umwelttechnologien, Recycling, Biomaterialen, Leichtbau, Batterietechnik und elektronische Traktionsmotoren als Handlungsfelder immer stärker in den Vordergrund. In den nächsten Jahren darf in diesem Umfeld mit massiven Investitionen gerechnet werden. Auswertungen von Investitionsentscheidungen des Bundeswirtschaftsministeriums gehen von rund 150 Mrd. Euro aus, die in- und ausländische Unternehmen am Standort Deutschland bereits eingeplant haben. Allerdings ist es derzeit schwer abschätzbar, inwieweit der Krieg in der Ukraine und damit einhergehenden Unsicherheiten, Engpässe und Preisentwicklungen die Innovationsbereitschaft der deutschen Wirtschaft bremsen. Es wird darauf ankommen, dass zumindest die im Koalitionsvertrag von den Regierungsparteien beschlossene Erhöhung der FuE-Investitionen auf einen Anteil von mindestens 3,5 Prozent am Bruttoinlandprodukts (BIP) bis 2025 konsequent weiterverfolgt wird.

Die Grundlagen sind da
Damit die ambitionierten Ziele hin zu mehr Nachhaltigkeit, weniger Klimabelastungen und unabhängiger Energieversorgung erreichbar sind, braucht es eine Reihe neuer Technologien mit einem markttauglichen Ansatz und entsprechende Infrastrukturen. Deutschland hat ein ausdifferenziertes Innovationssystem mit verschiedenen Instrumenten der Technologie- und Innovationsförderung. Bereits in den letzten Jahren sind eine Reihe von Innovationshilfen aufgestockt und großvolumige Förderinitiativen wie das Programm „Digital jetzt“ für Investitionen in digitale Technologien oder das Konjunkturhilfepaket Kopa 35c zur Unterstützung der Transformation in der Automobilwirtschaft hinzugekommen. Öffentliche Zuschüsse bewirken oftmals ein Vielfaches an privatwirtschaftlichen Investitionen. Insbesondere wird es wichtig sein, mittelständische Unternehmen nicht weiter von der Entwicklung abzukoppeln. Einige neue Fördermaßnahmen sind noch weitestgehend unbekannt, wie steuerliche Forschungszulagen. Andere Programme nicht passgenau. Mitunter ist die Antragsstellung zu kompliziert oder Programme sind nach kurzer Zeit überzeichnet oder liegen aufgrund fördertechnischer Überprüfungen auf Eis, wie das Zentrale Innovationsprogramme (ZIM). Ebenso spielen Technologieoffenheit und Akzeptanz in der Gesellschaft als auch eine ausreichende Fachkräftebasis sowie professionelle Gründungs- und Transferinfrastruktur an Hochschulen eine wichtige Rolle. Vor allem kleinen Unternehmen im ländlichen Raum fällt es deutlich schwerer, geeignete Partner zu finden und vom Technologie- und Wissenstransfer zu profitieren. Neue Transfermodelle, wie das Mittelstand-Digitalzentrum Hannover und die Förderungen offener Denk- und Experimentierräumen, die eine Zusammenarbeit ohne lange Antragsstellungen fördern, sind erste gute Ansätze. Einigen Unternehmen gelingt es nach wie vor nicht die Digitalisierungslücken zu schließen und die komplexen Aufgaben der Digitalisierung zu bewältigen.

Digitaler Nachholbedarf
Die Umstellung vorhandener IKT-Systeme stellt eine enorme Herausforderung dar, da eigene Fachkräfte und zeitlichen, wie finanziellen Ressourcen fehlen. Im internationalen Vergleich hat Deutschland im Bereich der Digitalen Technologien und beim Ausbau digitaler Infrastruktur sowie der Kompetenzentwicklungen weiter Nachholbedarfe. Hier sind besondere Anstrengungen nötig. Vor dem Hintergrund der verschärften Bedrohungslage sollte die Cybersicherheit, aber auch digitale Verwaltungsstrukturen auch für schnellere Genehmigungsverfahren weiter mit Nachdruck vorgetrieben werden.

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